Ursula März´ Denkmal für eine Tante

Es sei „ein Buch für Frauen“! Diese Warnung weckte eher Neugier als Abwehrreaktionen. Wie sieht „ein Buch für Frauen“ aus? Ist es ein Buch für Frauen, weil es ein Buch über Frauen ist?

Tatsächlich stehen im Mittelpunkt dieses „Romans“ (diese Gattungsbezeichnung steht auf der Titelseite) mehrere weibliche Wesen.

Die Tante und die Mutter der Erzählerin sind gegensätzliche Schwestern, gegensätzlicher geht es kaum: Die Mutter Rosa, hübsch und attraktiv, der Liebling des Vaters, die Tante Martl bescheiden, unscheinbar und vom Vater ungeliebt, eine Volksschullehrerin ohne Partner.

Alles fing damit an, dass sie als Mädchen zur Welt kam, und nicht als Junge, wie ihr Vater das erhoffte. Der Vater lässt sie das spüren. Liebloser kann man ein Kind nicht behandeln. Trotzdem wird sie ihn später pflegen.

„Vieles am Leben meiner Tante ist mir bis heute rätselhaft“, konstatiert die Literaturkritikerin Ursula März. Vielleicht schreibt sie deshalb über sie.

Sie erzählt von Zeiten, da Eltern die Kinder züchtigen durften und Ehefrauen kein eigenes Bankkonto besaßen.

Das Buch lebt von der sympathischen, aber keineswegs nur netten Figur der Tante, sie ist ein Charakter mit Ecken und Kanten. Das ganze Buch ist das Denkmal für eine ungewöhnliche Frau, die es ihr Leben lang schwer hatte, aber unbeirrt ihren Weg ging. Empathisch wird ein „bewegendes“ Frauenschicksal geschildert. Vielleicht bezeichneten deshalb einige Leserinnen den Roman als „Buch für Frauen“.

Das Buch liest sich leicht, ist flott geschrieben, manchmal etwas zu salopp: „In Nullkommanichts war sein Gesicht blutüberströmt.“ Oder: „Nun ging alles holterdiepolter.“

„Sie weinte aus allen Schleusen.“ Das ist die Sprache der Unterhaltungsliteratur. Dabei hat die Tante einen anspruchsvollen Geschmack: Tante Martl liest Günter Grass, anstößige Szenen in der „Blechtrommel“ sind für sie kein Grund zur Aufregung. Dann müsste man auch viele Geschichten aus dem alten Rom verbieten.

Ihre Schwester, die Mutter der Erzählerin, ist sich ihrer Wirkung bewusst: „Betrat sie das Wartezimmer, erstrahlte sie in weiblicher Siegesgewissheit, als lägen nicht ein paar Meter zu einem freien Stuhl vor ihr, sondern ein von jubelndem Publikum gesäumter roter Teppich.“

Auch andere Passagen sind etwas gespreizt formuliert: Der Autorin fällt eine Limousine auf, „die in ihrem Übervolumen an die Zirkuselefanten erinnerte, die zweimal im Jahr als lebende Werbeplakate durch unsere Siedlung geführt wurden.“ Es sind also weniger die einzelnen Sätze, die überzeugen, sondern die Figuren.

In manchen Momenten fühlt man mit der Protagonistin mit: Tante Martl, völlig überfordert mit der Pflege der Eltern, will zwei Wochen im Schwarzwald Urlaub machen, um sich zu erholen. Die Schwester Rosa soll sie in dieser Zeit vertreten. Im letzten Moment, wie so oft, fühlt sich die hypochondrische Rosa unpässlich, Martl muss den Aufenthalt in der Kurklinik absagen. Es wird kein Wort der Klage oder Anklage laut. Diszipliniert kehrt sie zu ihrer Aufgabe zurück.

Die Erzählerin ist überrascht, wie viele ehemalige Schüler von Tante Martl sich bei deren Beerdigung einfinden, darunter ein Topmanager aus Paris, der als Kfz-Mechaniker begonnen hat und seine steile Karriere der Förderung durch Tante Martl verdankt. Tante Martl muss eine inspirierende Lehrerin gewesen sein.

Ursula März: Tante Martl. Roman. Piper Verlag, 2019

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