Ulla Hahns „Spiel der Zeit“

Ulla Hahn ist eine Lyrikerin, die Romane schreibt, mit großem Erfolg. Ihr Buch „Spiel der Zeit“ ist ein gewaltiges Epos, das eine wichtige Epoche in der Geschichte der Bundesrepublik behandelt: die Zeit der Studentenrevolte. Dieser Roman ist der dritte Band eines auf vier Teile angelegten autobiographischen Zyklus, in dem Ulla Hahn die ersten 30 Jahre ihres Lebens aufarbeitet.

Ulla Hahns alter ego heißt Hille Palm. Sie ist in Dondorf, einem gepflegten Dorf am Rhein, aufgewachsen, in einem Arbeiterhaushalt, in dem kein einziges Buch stand. Der große Strom hat sie geprägt. Inzwischen ist das Jahr 1967 angebrochen, und Hille Palm zieht es aus der Provinz in die Metropole Köln, um dort ihr Studium aufzunehmen: Germanistik und Geschichte, für sie als Arbeiterkind eine neue Welt. Sie entdeckt die große Welt und die Welt der Worte. Aber sie kehrt immer wieder in das Kindheitsdorf am Rhein zurück. „Ich floh an den Rhein, das Wasser, dorthin, wo sich nichts verändert hatte, seit ich auf der Welt war und lange davor… Mit dieser stetigen selbstgenügsamen Landschaft konnte ich im Einklang leben, so wie ich war.“ Das sind Sätze einer Poetin.

Hille gerät in die Turbulenzen des Jahres 1968, im Karneval lernt sie ihre große Liebe kennen: Hugo, den Spross schwerreicher Eltern, die auf Arbeit nicht angewiesen sind. Mit ihm nimmt sie an einem Ostermarsch teil. Es ist ein wortseliges Buch, über 600 Seiten dick. Ulla Hahn ist Lyrikerin. Nach 336 Seiten erfährt man, woher der etwas blutleere Titel ihres Romans „Spiel der Zeit“ stammt aus einem Gedicht von Andreas Gryphius: „Es ist alles eitel“. „Warum trösten uns Gedichte wie dieses?“, fragt die Erzählerin. „Weil sie uns Vollendung spüren lassen, die Vollendung der Form. Darin liegt ihr Trost, der Trost der Dichtung.“ Diesem Gedicht begegnet Hille in der Vorlesung ihres Germanistikprofessors, auf mitreißende Weise vermittelt er: „Dichtung als eine Möglichkeit, sich und die Welt besser zu verstehen“. Etwas später erfährt Hille, dass dieser charismatische Professor ein überzeugter Nazi war und die Bücherverbrennung in einer großen Rede begrüßte. Sie ist schockiert. An solchen verstörenden Szenen ist der große Roman reich. „Lyriker können keine Romane schreiben“, heißt es auf Seite 494. Das hat Ulla Hahn natürlich formuliert, um das Gegenteil zu beweisen.

Ulla Hahn: Spiel der Zeit. Penguin Taschenbuch Verlag, 2016.

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