Dieses Schillerbuch besitzt nicht den stilistischen Glanz und das reflexive Niveau der Schillerbiographie von Rüdiger Safranski, die hier schon vorgestellt wurde. Trotzdem ist es ein lesenswertes Buch.
Nein, leicht hat er es nicht gehabt, der Dichter Schiller. Sein Leben war ein Kampf von Anfang an, nicht nur der Körper machte ihm früh zu schaffen. „Durch eine traurige, düstre Jugend schritt ich ins Leben hinein“, schrieb Schiller später. Die Karlsschule in Stuttgart, in die der Dreizehnjährige eintrat, war in Wirklichkeit eine Kaserne. Heutige Haftbedingungen sind dagegen human. „Den Schaden, den dieser unselige Anfang des Lebens in mir angerichtet hat, fühle ich noch heute.“ Trotzdem oder gerade deshalb wird die Freiheit zum „Grundmotiv seines Denkens und Dichtens“ (wie der späte Thomas Mann es formulierte).
Über Schiller ist oft hochtrabend und schwülstig geschrieben worden. „Die hohe, freie Stirn verkündigte den tiefen Denker“, schwärmte ein Historiker. Von dieser Verklärungsliteratur will sich der Autor Johannes Lehmann absetzen und demonstrieren, wie wenig Schiller erhabener Dichterfürst war, dafür, wie schwer er es hatte. Über die Zeit an der Karlsschule schreibt Lehmann: „Man tat einfach alles, um den Jungen kaputt zu machen.“ Das ist Lehmanns Stil, öfter vergreift er sich im Ton: „Erschlagen möchte man den [Herzog] Carl Eugen, wenn er nicht schon längst tot wäre.“ Der schwäbische Herzog tyrannisiert die ihm anvertrauten Zöglinge. Es gelingt ihm aber nicht, den jungen Schiller zu zerbrechen: „Jahre rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel, aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe. Was sie ersticken sollte, fachte sie an“, erklärte Schiller später. Der Dichter versteht es, aus den Einschränkungen Gewinn zu ziehen.
Auch der deutsch-dänische Dichter Jens Baggessen, der im August 1790 nach Jena kommt, lernt einen „armen Schiller“ kennen: Der Dramatiker verfüge über ein Gehalt von 200 Talern jährlich, brauche aber über 1200. „Aus dieser Ursache muß er wie ein Pferd arbeiten von Morgen bis Abend.“ Das spricht sich auch im Ausland herum. Der dänische Prinz beginnt einen Brief: „Ihre durch allzu häufige Anstrengung und Arbeit zerrüttete Gesundheit bedarf für einige Zeit einer großen Ruhe.“ Schiller aber wendet sogar die Kränklichkeit zu seinem Vorteil: „Ich habe ihr viel zu danken.“ Unermüdlich spricht Lehmann von „unserem armen Schiller“, die Formel gibt seinem Buch ja auch den Titel.
Diese Formel benutzt der Autor etwas inflationär, überhaupt hätte er am Stil seines Buches feilen können.
Lesenswert ist es vor allem wegen der gut ausgewählten Zitate. Zur Freundschaft zwischen Goethe und Schiller zitiert der Journalist kurz und knapp. Börne: „Von ihrer Freundschaft halte ich nicht viel.“ Die beiden hätten einander als Bücher benutzt, es sei eine didaktische Freundschaft gewesen, „ein wechselseitiger Unterricht zwischen ihnen.“ Lehmann will also auch lieb gewordene Mythen entzaubern. Er betreibt weder Heldenverehrung noch Heldenzerstörung, sondern begibt sich auf die Suche nach dem Menschen Schiller. Manchem Leser wird Lehmanns Schlusswort einleuchten: „Ich habe einen Mann schätzen gelernt, dessen Denken, Fühlen und Schreiben eng mit seinem Leben verbunden war.“ Sein Schillerbuch ist vor 15 Jahren erschienen.
Johannes Lehmann: Unser armer Schiller. Eine respektlose Annäherung. Silberburg-Verlag, 2009.