Es ist Kafkas letztes Jahr. Noch einmal lebt er auf, noch einmal erlebt er, von schwerer Krankheit gezeichnet, eine große Liebe. Während eines Sommeraufenthaltes an der Ostsee lernt er sie kennen: Sie heißt Dora und ist Köchin. Ihm fällt auf, wie jung sie ist. „Sie hat das Leben noch vor sich.“ Er hat ihr fünfzehn Jahre voraus und das Leben hinter sich. Er bezeichnet sich als unglücklichen Menschen, als Schriftsteller, der nicht mehr schreibt, also in einer Krise steckt. Ist er am Ende?
Er ist an Tuberkulose erkrankt und verliert zusehends an Gewicht. Das Ende ist absehbar. „Er sieht müde aus, um die Augen sind Schatten, was von den schlechten Nächten kommt.“ Trotzdem verliebt sich Dora in ihn. Beide stürzen sich geradezu in diese Liebesgeschichte. Er sagt: „Du bist meine Rettung“. Nach einigen Wochen mit Dora nimmt Kafka das Schreiben von Geschichten wieder auf. Da leben beide in Berlin, zur Zeit der rasenden Inflation.
Man erhält Einblicke in das Leben eines Schriftstellers. „Er muss auch allein sein, vor allem wenn er schreibt. Er gehe viel spazieren, stundenlang durch die Stadt, denn beim Gehen entstehen Bilder, sagt er, Satz für Satz, so dass er es später nur aufschreiben muss. Er schreibt nur nachts.“ Dora wundert sich über ihn und seine Geschichten, nimmt ihn aber wie er ist.
Kafka ist ja ein ungreifbarer Autor, für die Frauen in seiner Nähe wie für den heutigen Leser. Kumpfmüller versucht, ihm nahe zu kommen. Für Dora ist Kafka ein großes Glück. „Das sagt sie ihm bei jeder Gelegenheit, dass sie sich erst kennt, seit sie bei ihm ist.“ Deshalb tut sie alles für ihn, hält die Störungen des Alltags von ihm fern, ohne zu klagen. Sie kümmert sich hingebungsvoll um den kranken Schriftsteller, weicht in den letzten Wochen nicht mehr von seiner Seite.
Es ist ein leises Buch über eine späte Liebe, geschrieben mit großer Ruhe, ein helles Buch über einen dunklen Schriftsteller und seine letzte Liebe. Es ist ja eine heikle Sache: mit den Mitteln der Fiktion sich einem Schriftsteller nähern, der wirklich gelebt hat. Als Leser fragt man sich ein um´s andere Mal: Hat Kafka diese Äußerung wirklich getan? War das wirklich so oder ist das eine Erfindung des Autors Michael Kumpfmüller? Das ist nicht mehr zu entscheiden. Weil Kumpfmüller vieles in der Schwebe lässt und nur andeutet, möchte man am Ende mehr über Kafka und sein Leben erfahren.
2024 ist ein Kafka-Jahr. Am 3. Juni vor hundert Jahren starb Kafka im österreichischen Klosterneuburg.
Michael Kumpfmüller: Die Herrlichkeit des Lebens. Roman. Kiepenheuer und Witsch, 2011.