Eine neue Übersetzung der „Dubliner“ von James Joyce

„Er wusste nicht, wie er anfangen sollte“, heißt es gegen Ende der meisterhaften Erzählung „Die Toten“ von James Joyce.

Joyce selber wusste genau, wie er anfangen musste: „Es gab keine Hoffnung für ihn diesmal.“ Mit diesem Satz beginnt der Erzählungsband „Dubliner“. Die Figur wurde Opfer eines dritten Schlaganfalls. Jetzt gibt es keine Hoffnung mehr. Mit diesem ersten Satz ist ein Grundmotiv angeschlagen: das Grundmotiv der Hoffnungslosigkeit. In diesem Band sind viele trostlose Geschichten versammelt. Sie erzählen von tristen, traurigen Gestalten, gescheiterten Menschen, verkrachten Existenzen. Manche Figuren sind voller Hoffnung, auch wenn es nichts zu hoffen gibt. sie sehnen sich nach einem anderen, einem besseren Leben. Viele Figuren in diesem Buch fühlen sich vom „Fest des Lebens ausgeschlossen“:

Dabei geht es in „Dubliner“ vor allem um den Tod. „Toten“ ist das letzte Wort auf Seite 392.

Dublin erscheint als Unterwelt, als Reich der Schatten, zwei Schüler unternehmen statt die Schule zu besuchen eine Hadesfahrt. Schon hier verbinden sich Großstadt und Mythos.

Wer sich dem schwierigen Joyce nähern will, sollte als erstes die „Dubliner“ lesen, alle 15 Kurzgeschichten spielen in dieser Stadt, nie hat Joyce über eine andere geschrieben. Die Erzählungen aus „Dubliner“ lesen sich deutlich einfacher als Joyce´ Hauptwerk „Ulysses“.

„Und zuerst lese man die Dubliner. Es ist die einzige Möglichkeit, das Werk eines der größten Schriftsteller zu verstehen“, riet der Lyriker und Nobelpreisträger T. S: Eliot. Wenn man Joyce Glauben schenken darf, haben 40 Verlage diesen Erzählungsband abgelehnt.

Jetzt ist eine neue Übersetzung dieser epochalen Erzählsammlung erschienen, die sich sehr nahe an Joyce Sprache hält, besorgt von dem Schriftsteller Friedhelm Rathien.

Am 2. Februar letzten Jahres wurde der 100. Geburtstag des „Ulysses“ von James Joyce gefeiert. Sein Vorläuferwerk ist der Erzählungsband „Dubliner“. James Joyce Meisterwerk spielt an einem einzigen Tag. Ursprüngliche wollte Joyce aus dem Stoff eine Erzählung machen und ihn dem Geschichtenband „Dubliner“ einfügen. Aber dann merkte er, dass die Erzählung mehr Raum verlangte, der Eigenwille des Werks war größer als die Absichten des Autors.

Wo auch immer Joyce sich aufhielt (Triest, Zürich, Paris, Rom), er schrieb über Dublin.

Joyce porträtiert nicht die Mächtigen, Schönen, vom Leben Verwöhnten, nicht die Reichen und Erfolgreichen dieser Stadt, sondern nimmt den Alltag ganz gewöhnlicher Dubliner in den Blick.

Eine Geschichte beginnt so: „Mrs. Mooney war die Tochter eines Schlachters.“ Einfacher geht’s nicht. Die Tochter wird durch den Beruf des Vaters definiert. Sie heiratet denn auch die rechte Hand ihres Vaters, auch eine grobschlächtige Figur: „Kaum aber war sein Schwiegervater tot, da fing Mr. Mooney an, vor die Hunde zu gehen. Er trank, plünderte die Ladenkasse, rutschte bis über beide Ohren in Schulden. Es war zwecklos, ihn Enthaltsamkeit geloben zu lassen: Ein paar Tage später wurde er unfehlbar wieder rückfällig.“ Diese Sätze übersetzt Rathien überzeugender als Dieter E. Zimmer in seiner deutlich früheren Übersetzung, einzelne Begriffe wie „Schlachter“ oder „vor die Hunde gehen“ klingen aggressiver und grober als bei Zimmer, Zimmer spricht von „Fleischer“ und „auf den Hund kommen“: Seine Übersetzung stammt aus dem Jahr 1969.

Die Umgangssprache entspricht der Grobschlächtigkeit der Figuren. Das Besondere dieses Erzählbandes sind die Charaktere und die Sprache.

In fast jeder Erzählung gibt es Existenzen mit einer ungesunden Neigung zum Alkohol. Oft werden am Anfang die Väter erwähnt, von denen die Figuren abstammen „Die Toten“ beginnt so: „Lily, die Tochter des Hausmeisters, lief sich buchstäblich die Hacken ab.“ Ist das nicht eine etwas saloppe Eröffnung? Es ist gesprochene Sprache.

Auch an anderen Stellen fällt auf: Friedhelm Rathjens Übersetzungen sind oft salopper und burschikoser als die Dieter E. Zimmer. Allerdings sind es Details und Nuancen, in denen sich die beiden Übersetzungen unterscheiden, zwischen denen genau 50 Jahre liegen.

Alltäglicher kann Sprache nicht sein, und doch fängt sie Schönheiten ein.

Die „Dubliner“-Kurzgeschichten sollte man lesen, und zwar immer wieder.

James Joyce: Dubliner. Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen, mit einem Nachwort von Ijoma Mangold. Manesse Verlag, 2019

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