Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Eine verfallende alte Stadt an der Karibikküste ist Schauplatz dieses großen Liebesromans. Mit dem ersten Satz sind Thema und Ton angeschlagen: „Es war unvermeidlich: der Geruch von bitteren Mandeln erinnerte ihn an das Schicksal verhinderter Liebe“.

Florentino Ariza weiß, was verhinderte Liebe ist: Er umschwärmt Fermina Daza.

Die Romanze zwischen den beiden beginnt Anfang der 1870er Jahre, als der 18-jährige Florentino Ariza die 13-jährige Fermina zum ersten Mal sieht und ihr in einem Brief ewige Liebe schwört. Es ist der Beginn eines der schönsten Liebesromane der Weltliteratur.

Ferminas Vater hat einen standesgemäßeren Ehemann vorgesehen, und so heiratet sie den angesehenen Arzt Dr. Juvenal Urbino. Florentino Arizas ist untröstlich, er kann Fermina nicht vergessen, sein ganzes Leben kreist um sie. Er macht Karriere in der Flussschiffsfahrtgesellschaft, um auf sie Eindruck zu machen.

García Márquez gehört zum Geschlecht der Zauberer, wie Vladimir Nabokov, wie Thomas Mann. Die Musikalität des Stils, der Glanz der schönen und sinnlichen Sprache nehmen den Leser gefangen. „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ ist mehr als nur ein Liebesroman, es ist auch ein historischer und ein Abenteuer-Roman. Am Anfang steht das Panorama einer ganzen Stadt, dann verengt sich der Erzählstrom, und der Erzähler konzentriert sich auf die Liebesgeschichte; die Geschichte Kolumbiens in den Jahren 1870 bis 1935 wird am Rande behandelt.

Liebe und Cholera, diesen Zusammenklang behandelte schon „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann. Beiden Werken ist die kultivierte Sprache, der noble Ton gemeinsam. Beide sezieren eine Obsession. Bei García Márquez ist es die attraktive Fermina Daza, bei Thomas Mann der schöne Jüngling Tadzio. Der Liebeswahn kann Symptome hervorrufen wie die Cholera. Die Venedig-Novelle könnte auch den Titel „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ tragen. Gustav von Aschenbach geht zugrunde, weil er einer unmöglichen Liebe verfallen ist. Er stirbt an der Cholera. Anders Florentino Ariza. Die Cholera wird ihn nicht hinwegraffen. Er glaubt an seine Liebe. Die Liebe ist stärker als alles andere.

Lebendig sind die Roman-Gestalten. In aller Ausführlichkeit wird zu Anfang der Arzt Urbino porträtiert, eine starke Figur. Später wird er in ein anderes Licht gerückt.

Márquez zählt zu den phantastischsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, in doppeltem Sinn. Er hat das Wunderbare in die Literatur eingeführt und mit dem Realistischen verschmolzen. Er war ein Hauptvertreter des „Magischen Realismus“.

„Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ fällt aus dem Rahmen. Es ist ein historischer Roman ohne alle Phantastik, sehr genau recherchiert, sehr sinnlich erzählt. Erschienen ist der Roman 1985. Als zwei Jahre später die deutsche Übersetzung herauskam, eroberte sie den Spitzenplatz der Spiegel-Bestsellerliste, den es bis ins nächste Jahr innehatte.

Wikipedia bedient sich eines Superlativs: „Die Liebe in den Zeiten der Cholera gilt als eines der bedeutendsten literarischen Werke des ausgehenden 20. Jahrhunderts und fügt sich als Geschichte vom Leben und Lieben in Lateinamerika nahtlos in das Spätwerk García Márquez’ ein.“

Nach 53 Jahren beharrlichen Werbens erobert Ariza Fermina Daza. Dieser opulente Liebesroman umfasst ein ganzes Leben. Gewidmet hat Gabriel García Márquez den Roman seiner Frau Mercedes. Ein schöneres Geschenk hätte er ihr nicht machen können. Im April vor zehn Jahren verstarb García Márquez in Mexico-Stadt.

Gabriel García Márquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera, Roman. Fischer Taschenbuch, 2019.

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