Alle Farben des Schnees (Angelika Overath)

Fußfassen in der Fremde: Von Tübingen ins Engadin

Eine Freundin zog vor einiger Zeit von Sindelfingen ins schweizerische Emmental, wo sie heute als Lehrerin arbeitet. Sie schwärmte im letzten Jahr von einem Buch einer deutschen Autorin: „Alle Farben des Schnees“. Es enthält ihr Thema: den Weg von Deutschland in die Schweiz.

Die Tübinger Schriftstellerin Angelika Overath zieht mit ihrem Mann, dem Literaturwissenschaftler Manfred Koch, und ihrem jüngsten Sohn Matthias in ein abgelegenes Bergdorf: nach Sent im Engadin, 1400 Meter überm Meeresspiegel gelegen. Früher waren sie als Feriengäste hier, jetzt lassen sie sich dauerhaft nieder. Overath beschreibt, wie sie mit ihrer Familie in Sent heimisch wird. Wird das Schweizer Bergdorf zur Heimat? Sie zitiert George Tabori: „Was ich immer erzählen muß, immer sagen muß: daß ich keine Heimat habe, daß ich ein Fremder bin, und das meine ich nicht pathetisch, sondern als gute Sache. Weil ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, muß ein Fremder sein.“ Da denkt man an den Anfang der Schubertschen „Winterreise“. „Fremd bin ich eingezogen,/ Fremd zieh ich wieder aus.“

Die Schriftstellerin fragt ihren zehnjährigen Sohn, ob er konfirmiert und getauft werden wolle: „Er liest weiter in seinem Comic. Das Thema scheint ihn nicht zu interessieren. Auf einmal schaut er auf und sagt: Ich will Senter werden.“ Die Reflexion über Fremdheit und Heimat ist ein wichtiges Motiv des Buches.

Im Schnee-Buch beschreibt Overath einen Ausschnitt ihres Lebens: das Fußfassen in der Fremde. Als Kind träumte sie davon, Klavierspielen zu können, die Eltern schenkten ihr ein Akkordeon, weil im Wohnzimmer für ein Klavier kein Platz war. In Sent entschließt sie sich, Unterricht zu nehmen. Overath erzählt, wie sie sich das Rätoromanische aneignet. Sie versucht, Gedichte in dieser Sprache zu verfassen. Sie sind nicht ins Deutsche zu übersetzen.

Overath ist eine uneitle Autorin, mit großem Interesse an ihrer Umgebung und ihren Mitmenschen, natürlich reflektiert sie auch ihre Arbeit als Schriftstellerin: „Schreiben ist ein paralleles Leben. Man ist dauernd in Gefahr, dem guten Alltag abhanden zu kommen.“ Sie kommt ihm nicht abhanden, sie zeichnet ihn auf. Entstanden ist ein leises Buch, das sich leicht liest. Die Sprache ist so schön wie der Titel.

Angelika Overath: Alle Farben des Schnees. Senter Tagebuch. Luchterhand Verlag, 2010

Schreibe einen Kommentar