Wer Wladimir Kaminer schon einmal auf der Bühne erlebt hat, weiß, dass aus ihm die Geschichten nur so heraussprudeln. Ständig scheinen ihm welche einzufallen.
In seinem Buch „Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger“ erzählt Wladimir Kaminer von ganz alltäglichen Dingen, aber er macht etwas daraus, indem er sie amüsant und wortgewandt präsentiert. Kaminer denkt in Geschichten.
Als Schriftsteller ist Kaminer, 1967 in Moskau geboren, ein Star. Er ist ein deutscher Schriftsteller mit russisch-jüdischen Wurzeln. Kaminer steht im Rampenlicht wie kaum ein anderer Autor. Er ist auch Comedian und Schauspieler, der auf unterhaltsame Weise seine kurzen Geschichten vermittelt. Vielen Lesern ist Kaminer durch seine Fernsehauftritte bekannt.
Es ist nicht ganz einfach, mit Kurzgeschichten berühmt zu werden, denn viele Leser bevorzugen Romane. Aber wenn man sie so leicht und locker, so anschaulich und amüsant erzählt wie Kaminer es tut, kann man seines Erfolgs sicher sein. Im Grunde genommen ist Kaminer ein Kolumnist.
Der Alltag ist meist nicht zum Lachen, aber über Kaminers Alltagsgeschichten können die Menschen lachen.
Sein Mutter-Buch beginnt mit dem verheißungsvollen Satz: „Solange ich zurückblicken kann, haben sich meine Eltern gestritten.“ Erst als Kaminers Vater gestorben ist, kommt sie zur Ruhe. Ihr Mann habe sie ihr Leben lang tyrannisiert, behauptet sie. „Es war schon immer mein Traum, allein zu leben.“
Dieses Buch ist eine lächelnde Liebeserklärung an seine Mutter. Sie liebt ihre Katze, für ihn ist das Tier eine „Tötungsmaschine“, mit den „kalten Augen eines Killers“.
Die Mutter reist für ihr Leben gern (das hat Kaminer von ihr geerbt), aber sie bewältigt keine Treppen und steilen Berge mehr. Sie hat ganze Alben mit Fotos von Treppen, etwa den berühmten Treppen in Rom, Madrid oder Paris, mit Angaben der Zahl der Treppenstufen.
Wenn ihr Sohn mit dem Fernsehen im Schwarzwald ist, denkt sie zuerst an die hohen Berge, die sie nicht mehr bewältigt. Er solle nicht zu tief in den Wald hinein gehen, ermahnt sie ihn, als wäre er ein kleiner Junge. Das Erziehen ihrer erwachsenen Kinder ist ihre große Leidenschaft.
Die 84-Jährige lernt Englisch in der Volkshochschule, Kaminer fügt hinzu: „seit 23 Jahren“.
Ein wichtiges Kaminer-Thema ist der Zusammenstoß der Kulturen. Kaminer bewegt sich zwischen den Kulturen.
Er entdeckt, dass die Mutter in all den Jahren in Deutschland noch nie an Weihnachten teilgenommen hat, weder hat sie einen Weihnachtsmarkt besucht noch einen Stollen gebacken. Sie weiß nichts von den Heiligen Drei Königen, nichts von Stall und Tieren, nichts von Maria und Joseph. Sie ist in der atheistischen Sowjetunion aufgewachsen. Kaminer nimmt sich an seinem Sohn ein Beispiel, der Geschichte studiert und die Geschichte der Sowjetunion vom Vater in „Stichpunkten“ vermittelt bekommen will. Also erzählt Kaminer seiner Mutter die Geschichte des Christkinds in Stichpunkten, während er sie über einen Weihnachtsmarkt führt. Die Auswahl ist groß: in Berlin gebe es über hundert Märkte, sogar einen japanischen mit Sake und Sushi. Am Ende entdeckt Kaminer, dass Weihnachten auch ein Konsumereignis ist.
Wladimir Kaminer: Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger. Goldmann Taschenbuch, 2018